Urgent Action: 14 Todesurteile im Zusammenhang mit den Protesten im Iran
Mindestens 14 Personen droht im Iran in Verbindung mit den landesweiten Protesten unmittelbar die Hinrichtung, unter anderem für Taten, die nicht mit einer vorsätzlichen Tötung einhergehen. Iran verletzt damit seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Behörden haben das Recht dieser Menschen auf faire Gerichtsverfahren verletzt und mehrere von ihnen Folter und anderen Misshandlungen unterzogen, darunter Schläge, Elektroschocks, Morddrohungen, Vergewaltigungen und andere Formen der sexualisierten Gewalt. Seit Dezember 2022 wurden im Zusammenhang mit den Protesten mindestens vier junge Männer nach grob unfairen Gerichtsverfahren willkürlich hingerichtet.
Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Dieses Schreiben wird mit deinem Vor- und Nachnamen und Mail-Adresse an den Adressaten im Land gesandt.
*** Bitte beachten: Die Zahl der Todesurteile im Zusammenhang mit den Protesten im Iran ändert sich derzeit ständig. Auch kann es sein, dass vorübergehend keine aktuellen Informationen zu einer bedrohten Person erhältlich sind. Diese Urgent Action setzt sich insbesondere für 22 Menschen ein, die entweder zum Tode verurteilt sind (14) oder denen nach Anklageerhebung aktuell ein Todesurteil droht (8). In den Hintergrundinformationen wird auf weitere bedrohte Personen Bezug genommen. ***
Sachlage
*** Bitte beachten: Amnesty International hat das Vorgehen in dieser Urgent Action dahingehend geändert, dass hier nur noch Personen genannt werden, gegen die bereits eine Anklage erhoben wurde, die bei einem Schuldspruch mit der Todesstrafe geahndet werden kann, sowie Personen die entweder bereits zum Tode verurteilt wurden oder sich im laufenden Gerichtsverfahren befinden.
Wir werden die Fälle von Personen, gegen die wegen Kapitalverbrechen ermittelt wird, die aber noch nicht angeklagt sind, weiterhin beobachten. Sollten sie angeklagt werden, nehmen wir auch sie in künftige UA-Updates auf. ***
Dutzende Menschen sind im Iran im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten von der Todesstrafe bedroht, nachdem sie in grob unfairen Gerichtsverfahren unter anderem wegen "Feindschaft zu Gott" (moharebeh), "Verdorbenheit auf Erden" (efsad-e fel arz) und "bewaffneter Rebellion gegen den Staat" (baghi) unter Anklage stehen. Mindestens 14 Menschen wurden bereits zum Tode verurteilt und befinden sich in großer Gefahr, hingerichtet zu werden. Dabei handelt es sich um Arshia Takdastan, Javad Rouhi, Ebrahim Narouie, Kambiz Kharout, Majid Kazemi, Manouchehr Mehman Navaz, Mansour Dahmardeh, Mohammad Boroughani, Mehdi Bahman, Mehdi Mohammadifard, Mohammad Ghobadlou, Saleh Mirhashemi, Saeed Yaghoubi und Shoeib Mir Baluchzehi Rigi. Bei mindestens fünf weiteren Personen, darunter Sahand Nourmohammad-Zadeh, Hamid Ghare-Hasanlou, Hossein Mohammadi, Reza Arya (Aria) und Mahan Sadrat (Sedarat) Madani, stehen Neuverhandlungen an, nachdem ihre Schuldsprüche und Todesurteile vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und ihre Fälle an vorinstanzliche Gerichte zurückverwiesen worden waren. Amnesty International sind mindestens drei weitere Personen bekannt, die ebenfalls wegen Straftaten angeklagt sind, auf die die Todesstrafe steht. Zu ihnen zählen Saeed Shirazi, Abolfazl Mehri Hossein Hajilou und Mohsen Rezazadeh Gharegholou. Über die Ergebnisse ihrer Verfahren liegen derzeit noch keine öffentlichen Informationen vor. Gegen Dutzende weitere Personen wird wegen Kapitalverbrechen im Zusammenhang mit den Protesten ermittelt.
Die Verfahren vor den Revolutionsgerichten und/oder Strafgerichten überall im Land verlaufen auf grob unfaire Weise. Dabei werden unter anderem das Recht der Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung und Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, das Recht auf Unschuldsvermutung, das Recht zu schweigen und das Recht auf eine faire, öffentliche Verhandlung verletzt.
Amnesty International hat Folter und anderen Misshandlungen, die zehn der zuvor genannten Personen erfahren haben, dokumentiert. Bei der Folter kamen Methoden wie Schläge, Elektroschocks, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierten Gewalt zum Einsatz. Die durch die Folter erlangten "Geständnisse" werden von den Behörden als Beweise eingesetzt. Staatliche Medien strahlten vor den Prozessen mehrerer Angeklagter deren erzwungene "Geständnisse" aus.
Hintergrundinformation
Die Prozesse gegen mehrere Einzelpersonen, die wegen Kapitalverbrechen im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten angeklagt sind, haben mit fairen Gerichtsverfahren nichts zu tun. Zur Erklärung: Kapitalverbrechen werden immer mit der Todesstrafe geahndet. Die Behörden der Islamischen Republik ziehen bei diesen Prozessen unter Verstoß gegen das Völkerrecht und internationale Standards unter Folter erzwungene "Geständnisse" und andere Beweismaterialien heran, um Anklagen zu erheben und Schuldsprüche zu fällen. Sie verwehren Angeklagten während der Ermittlungsphase den Zugang zu Rechtsbeiständen und verwehren auch unabhängig bestellten Rechtsbeiständen sowohl den Zugang zu den Ermittlungsakten ihrer Mandant*innen als auch deren Vertretung vor Gericht. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung wurde ebenfalls wiederholt verletzt, da die staatlichen Medien die erzwungenen "Geständnisse" mehrerer Personen bereits vor dem Gerichtsverfahren ausstrahlten. Zudem führen die Behörden Gerichtsverfahren, in denen Kapitalverbrechen verhandelt werden, im Eilverfahren durch. Mehrere Personen wurden schon nach wenigen Tagen schuldig gesprochen. Mindestens sieben Personen wurden wegen Straftaten wie Vandalismus, tätlichen Angriffs und Brandstiftung zum Tode verurteilt, obwohl die Verhängung der Todesstrafe nach internationalem Recht nur für Straftaten gestattet ist, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten.
Amnesty International hat dokumentiert, dass zehn der oben genannten Personen gefoltert und in anderer Weise misshandelt wurden, um "Geständnisse" von ihnen zu erzwingen. Dabei handelt es sich um: Hamid Ghare-Hasanlou, Mohammad Ghobadlou, Sahand Nourmohammad-Zadeh, Shoeib Mir Baluchzehi Rigi, Ebrahim Narouie, Mansour Dahmardeh, Kambiz Kharout, Javad Rouhi, Mehdi Mohammadifard und Arshia Takdastan. Zu den eingesetzten Foltermethoden gehören Prügel, Elektroschocks, Auspeitschen, Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt, verlängerte Einzelhaft und Morddrohungen. Außerdem werden die Betroffenen immer wieder extremer Kälte ausgesetzt. Gut informierte Quellen berichteten Amnesty International, dass Arshia Takdastan, Mehdi Mohammadifard und Javad Rouhi, die im Dezember 2022 zum Tode verurteilt worden waren, grausamer Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt waren. Mehdi Mohammadifard wurde geschlagen, kopfüber aufgehängt und vergewaltigt, so dass er wegen analer Verletzungen und rektaler Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Arshia Takdastan wurde mit vorgehaltener Waffe mit dem Tod bedroht und geschlagen. Dies führte unter anderem zu einem gebrochenen Zeh und Gedächtnisverlust. Javad Rouhi wurde geschlagen und ausgepeitscht, während er an einen Pfahl gefesselt war. Er wurde mit Elektroschocks gefoltert, war eisiger Kälte ausgesetzt, man bedrohte ihn mit der Waffe und ihm wurde zwei Tage lang Eis auf die Hoden gelegt. Diese Folter führte bei ihm zu Schulter- und Muskelverletzungen, Harninkontinenz, Verdauungsproblemen, Mobilitäts- und Sprachstörungen, starken Schmerzen im Rücken und in der Hüfte sowie Taubheit im rechten Bein. Ebenfalls aus zuverlässiger Quelle erfuhr Amnesty international, dass die Behörden Hamid Ghare-Hasanlou wiederholt gefoltert haben, was dazu führte, dass er mit gebrochenen Rippen, Atembeschwerden und inneren Blutungen in der Lunge ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo er dreimal operiert werden musste. Hamid Ghare-Hasanlou wartet derzeit auf ein Neuverfahren zu den Anklagen wegen Kapitalverbrechen, die ihm die Behörden der Islamischen Republik zur Last legen. Während seines ersten Prozesses im Dezember 2022 zeigte Hamid Ghare-Hasanlou dem Richter seine Folterverletzungen, dennoch wurde keine Untersuchung zu seinen Vorwürfen durchgeführt. Auch zu Mohammad Ghobadlou liegen Amnesty International Berichte aus gut informierten Quellen vor: Behördenvertreter haben den jungen Mann wiederholt geschlagen und ihm seine Medikamente zur Behandlung seiner bipolaren Störung vorenthalten. Seinen Schuldspruch und das Todesurteil wegen "Korruption auf Erden" bestätigte der Oberste Gerichtshof im Dezember 2022. Ein gerichtsmedizinisches Gutachten belegt Prellungen und Verletzungen, die er sich in Gewahrsam zugezogen haben muss.
Bislang haben die Behörden der Islamischen Republik vier Personen im Zusammenhang mit den Protesten willkürlich hingerichtet, nachdem sie in äußerst unfairen, von Foltervorwürfen geprägten Verfahren verurteilt worden waren. Seit Beginn der Proteste im September 2022 haben die Behörden Tausende von Menschen festgenommen und angeklagt, so dass die Verhängung der Todesstrafe gegen weitere Personen zu befürchten ist. Zusätzlich zu den oben genannten Personen bestätigt Amnesty International die Namen von neun weiteren Personen, die sich in Haft befinden und gegen die bereits Anklage wegen Kapitalverbrechen erhoben wurde oder denen die Anklageerhebung wegen Kapitalverbrechen droht. Es handelt sich um: Toomaj Salehi, Farzad (Farzin) Tahazadeh, Farhad Tahazadeh, Karwan Shahiparvaneh, Reza Eslamdoost, Taher (Hajar) Hamidi, Shahram Marouf-Moula, Pouria Javaheri und Heshmatollah Tabarzad. Andere Organisationen melden Dutzende weiterer Personen in dieser Lage. Zwei wird im Zusammenhang mit friedlichen, völkerrechtlich geschützten Handlungen ein Kapitalverbrechen zur Last gelegt. Der politisch aktive Heshmatollah Tabarzadi sieht sich wegen seines friedlichen Engagements und seiner in Interviews geäußerten Kritik an der Reaktion der Behörden auf die Proteste 20 Anklagen gegenüber, darunter "Korruption auf Erden" (efsad-e fel arz). Auch der Rapper Toomaj Salehi wird unter anderem wegen "Korruption auf Erden" (efsad-e fel arz) angeklagt, und zwar ausschließlich wegen seiner kritischen Musik und seiner Beiträge in den Sozialen Medien, in denen er die ungerechten Praktiken der Behörden der Islamischen Republik anprangert und Freiheit und Menschenrechte für die Menschen im Iran fordert. Amnesty International hat aus gut informierten Quellen erfahren, dass mindestens sechs der neun Personen – Toomaj Salehi, Farhad Tahazadeh, Karwan Shahiparvaneh, Reza Eslamdoust, Shahram Marouf-Moula und Heshmatollah Tabarzadi – gefoltert und anderweitig misshandelt werden.